07.11.24
Glaube im Klassenzimmer: Islamische Religionslehre als Brücke der Verständigung
Am Immanuel-Kant-Gymnasium ist der islamische Religionsunterricht längst kein außergewöhnliches Angebot mehr. Seit der fünften Klasse können Schüler das Fach wählen und sich auf eine Entdeckungsreise ihrer Religion und ihrer Identität begeben. Der Unterricht vermittelt Wissen über den Islam, schafft interreligiöse Brücken und hilft Vorurteile abzubauen.
Es ist 10:35 Uhr, Zeit für die erste große Pause am Immanuel-Kant-Gymnasium. Die Gänge füllen sich mit Schülerinnen und Schülern. Auch Amina, Alma, Yusufcan, Nirmela und Samara haben Pause. Sie besuchen die 10. und 11. Klasse. Als nächstes Fach steht für einige von ihnen der islamische Religionsunterricht auf dem Stundenplan.
„Wir haben am IKG seit der 5. Klasse die Möglichkeit, Islamischen Religionsunterricht zu belegen“, berichtet Samara. Auch in der Oberstufe wird am IKG mittlerweile „IRU“ (Islamischer Religionsunterricht) angeboten, erzählt Nirmela, die zum ersten Jahrgang gehört, der bei den Kurswahlen nicht mehr auf Praktische Philosophie ausweichen muss.
Obwohl ab 2011 vom Landtag die gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, um den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen anzubieten, ist der IRU an vielen Schulen doch noch eine Besonderheit. Am Bedarf mangelt es nicht. Schließlich leben ca. 1,5 Millionen Musliminnen und Muslime in NRW, davon um die 470.000 muslimische Schülerinnen und Schüler.
„Wir freuen uns auf jeden Fall sehr, dass wir islamische Religion wählen können und es diese Möglichkeit am IKG gibt“, legt Yusufcan dar, denn am IKG lehren mittlerweile zwei Lehrerinnen das Fach. Seit 2017 wird das Fach beginnend in der 5. und 6. Klasse angeboten, mit einem Kurs bestehend aus ca. 20 Schülerinnen und Schülern pro Jahrgang.
Auch IRU-Lehrerin Frau Al-Sayyed meldet zurück, dass das SchülerInnen-Feedback sehr positiv ausfällt und die Schülerinnen und Schüler einen geschützten Raum, in dem sie Fragen stellen können, die sie beschäftigen, sehr wertschätzen: „Sie fühlen sich durch den Unterricht gesehen und äußern, dass er ihnen hilft, ihre Religion besser zu verstehen und dadurch selbstbewusster in ihrer eigenen Identität zu werden.“
Viele Schülerinnen und Schüler besuchen auch außerhalb der Schule Islamunterricht, so auch Amina: „Während wir uns im privaten Islamunterricht größtenteils mit den Propheten und dem Koran auseinandersetzen, haben wir im schulischen Unterricht immer den gesellschaftlichen Kontext im Blick. Zudem können wir auch immer persönliche Fragen stellen.“ Samara und Yusufcan gefällt außerdem, dass häufig Themen nach Interesse eingebracht werden können. Im Unterricht werden Boxen breit gestellt, in denen die Kinder und Jugendlichen auch anonym Fragen hinterlassen können, die im Rahmen des Unterrichts dann diskutiert werden.
Wie der Unterricht am IKG aussehen kann, berichtet Alma: „IRU ist eine wertvolle Ergänzung zu anderen Fächern wie beispielsweise Ethik und Geschichte, da wir hier auch gesellschaftliche Werte und historische Ereignisse durch religiöse Perspektiven kennenlernen. Ein Highlight des IRU sind die die Exkursion davon auch der zur Wallfahrtsbasilika in Werl. Dort konnten wir christliche Traditionen und die Bedeutung des Pilgerns hautnah erleben. Die Atmosphäre der Kirche und die Geschichte des Ortes haben uns beeindruckt und uns gezeigt, wie unterschiedliche Religionen zu Besinnung und Gemeinschaft einladen.“
Aber auch über den Unterricht hinaus treffen sich die Jugendlichen, wie Nirmela berichtet: „Wir finden uns zum Beispiel im Fastenmonat Ramadan abends in Kleingruppen zum Fastenbrechen zusammen. Hier sind auch nicht muslimische Menschen willkommen.“
Der interreligiöse Dialog ist im Curriculum fest verankert. Neben Exkursionen gibt es zum Beispiel auch einen interreligiösen, ökumenischen Einschulungsgottesdienst der 5. Klässler, den auch Amina erleben durfte. „Im Unterricht werden regelmäßig Brücken zu anderen Religionen, insbesondere zum Christentum und Judentum gebaut“, berichtet Lehrerin Frau Al-Sayyed. Die Förderung von gegenseitiger Toleranz steht dabei immer im Fokus. „Wir lernen, unseren Glauben im Kontext anderer Religionen besser zu verstehen und ganz wichtig: Vorurteile abzubauen“, ergänzt Alma.
Das Verständnis für islamischen Religionsunterricht als festen Bestandteil der schulischen Bildung zu fördern, hat das IKG sich zur Aufgabe gemacht. Deshalb tagen übrigens auch die drei Fachkonferenzen evangelische, katholische und islamische Religionslehre nicht getrennt sondern gemeinsam, wie auch stellvertretende Schulleiterin und IRU-Lehrerin Frau Belamkadem berichtet: „Einer unserer Schwerpunkte am IKG ist die systematische Zusammenarbeit der drei Fachschaften. Sei es bei gemeinsamen Exkursionen, Besuchen unterschiedlicher Gebetshäuser und vielem mehr. Die Gemeinschaft wird gestärkt, indem sich die Kinder und Jugendlichen klassenübergreifend viel besser kennenlernen. Gewiss sind das auch Gründe für die hohe Motivation im Fachunterricht und die selbstverständliche Akzeptanz des Faches IRU am IKG seit der Neueinführung."
Text& Foto: Hanna Ostkamp